Schreiberlingeforum
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.


Dieses Forum ist für alle, die nicht nur gerne Lesen, sondern auch selbst einmal zur Feder, zum Stift oder zur Tastatur greifen um eigene Ideen zu entwickeln. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob ihr nun Geschichten, Gedichte oder sogar Songs schreibt.
 
StartseiteGalerieNeueste BilderSuchenAnmeldenLogin

 

 Stories

Nach unten 
AutorNachricht
peve




Anzahl der Beiträge : 1
Anmeldedatum : 20.06.10
Alter : 67
Ort : Bayern

Stories Empty
BeitragThema: Stories   Stories EmptySo Jun 20, 2010 2:17 pm

Portugal

Schon immer kamen diese kleinen Pakete zu Weihnachten, mit seltsamen Briefmarken und so exotischem Inhalt wie Datteln und Feigen. Dazu auch mal ein Foto: Meine Tante, mit einer Schwarzen, wir sagten zu den Nachbarskindern "Meine Tante hat eine schwarze Dienerin" und gaben mächtig damit an.

1974, 25.April
Nelkenrevolution in Portugal
Mein Freund und ich hatten schon die Interrail-Tickets gekauft und wollten damals nach Portugal fahren. Alle warnten uns davor. Es sei eine Revolution ausgebrochen, die Kommunisten würden die Macht übernehmen. Meinem Freund kamen Zweifel. Ich dagegen meinte, wir hätten die einzigartige Chance ein Volk im Rausch der Freiheit zu erleben. Also fuhren wir los.

Zunächst mal mussten wir durch Franco's Spanien. Ein Falange-Polizist schleifte mich an meinen langen Haaren aus dem Hafengebäude in Valencia, wo wir Schiffstickets für die Überfahrt nach Mallorca kaufen wollten. Ich hatte mich provozierend mit einer Korb-Flasche Wein einfach auf den Boden geflakt. "Here is your place" sagte er, nachdem er mich bis auf den Bürgersteig gezogen hatte. "Not for very much longer" entgegnete ich ihm mit der ganzen Unbekümmertheit meiner Jugend. Ich meinte es durchaus in Anspielung auf Portugal. Er ließ mich aber in Ruhe.
Etwas später in Ayamonte, Grenze zu Portugal. Auf dem gegenüberliegenden Hang, also in Portugal, riesengroß mit weißen Steinen ausgelegt das Wort "Libertade", welches höhnisch nach Franco's Reich hinüberstrahlte. Ich strahlte auch.

Vorher in Huelva, Spanien. Mein Freund und ich waren in einer billigen Bar. Ein älterer Herr, damals für mich ein steinalter Mann, elegant, sprach mich an. Holpriges Englisch, ich hätte wunderbares Haar, was er auch sogleich anfasste. Er zahlte mächtig. Ich soff und fraß wie ein Berserker, meinem Freund kam das alles spanisch vor, er hatte Angst. Er warnte mich ständig. Vergeblich. Irgendwann drollten wir uns vondannen. Mein Freund erleichtert, ich berauscht, amüsiert.

Ayamonte - Portimao, Algarve
Der Grenzfluß Guadiana ist hier schon sehr breit, weil er dem Meer so nahe ist. Also gab und gibt es bis heute keine Brücke. Eine kleine Fähre brachte uns hinüber - von der spanischen Diktatur in die soeben erst gewonnene portugiesische Freiheit. Es war noch früh genug um einen Regional-Zug nach Portimao zu kriegen. Der Wohnort meiner Tante. Angekommen in der algarvischen Kleinstadt machten wir uns auf die Suche. Niemand verstand englisch und wir kein portugiesisch. Dennoch fanden wir das Viertel, die Straße. Man verwies uns in eine Kneipe, der Wirt würde deutsch sprechen. Ja, er kenne den Namen, der Mann meiner Tante war ein Kleinadeliger und Arzt mit dem klingenden Namen Ernesto Rosario da Costa. Der Wirt sprach sehr wenig deutsch und es dauerte eine Weile bis wir verstanden: Meine Tante und ihr Mann seien nicht da, der Mann erkrankt, und er habe sich zusammen mit meiner Tante zur Kur nach Sintra begeben. Das sei in der Nähe von Lissabon.
Enttäuscht, da mir meine Überraschung misslungen war, wir hatten meiner Tante mein Kommen nicht angekündigt, beschlossen wir, die unattraktive Kleinstadt, das elende Kaff, zu verlassen.
Am Bahnhof fanden wir heraus, daß wir noch den Nachtzug nach Lissabon kriegen würden. Augenblicklich entschlossen wir uns, das Zentrum der Revolution zu besuchen.

Lissabon, Juni 1974

Nach einer endlosen Nachtfahrt, der Bummelzug brauchte für die 300 Kilometer scheinbar ewig, kamen wir am frühen Morgen in Lissabon an. Wir deponierten unser Gepäck am Bahnhof und warfen uns in den Trubel der Hauptstadt Lusitaniens.

Überall mit dicker roter Farbe aufgetragene Parolen. Hammer und Sichel, und immer wieder "Libertade", Freiheit. Die mit der Müdigkeit einhergehende Sentimentalität tat das Übrige, ich war überwältigt, hatte Tränen in den Augen.

In der Ferne zeichnete sich deutlich, scheinbar nahe, die gigantische Tejo-Brücke ab.
Die Straße führte direkt auf sie zu. Wir erreichten sie nie. Erst zwölf Jahre später sollte ich sie überqueren. Aber das ist eine andere Geschichte. Wer geduldig genug ist, wird sie vielleicht noch erfahren.


Fortsetzung folgt
Nach oben Nach unten
 
Stories
Nach oben 
Seite 1 von 1

Befugnisse in diesem ForumSie können in diesem Forum nicht antworten
Schreiberlingeforum :: Schreibstube :: Geschichten-
Gehe zu: